Diskounfall
Kommentar zu Autowahn – Mix von Necki
01 Kraftwerk: Autobahn
Philips, 1974
Eva: Witzig, wie das anfängt, hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Auf mich wirkt das so, als soll dieses Schlüssel-im-Zündschloss-Drehen was Verheißungsvolles sein. Für mich ist das Geräusch super nervig, auch dieses Anfahren, wenn ich das irgendwo höre, muss ich immer an lästige Insekten denken.
Was für ein Track! Da geht alles auf, man sieht alles. Wieso gehören Musik und Fahren eigentlich so zusammen? Also ich meine, nicht nur, dass sie gut zusammen passen, Musik passt ja zu vielem, Fickmusik, Fahrmusik, die Leute putzen und kochen zu Musik, aber fahren und Musik scheinen doch eine besondere Verbindung einzugehen, auf so ner eher strukturellen formalen Ebene. Woran liegt das? Taktung, Rhythmus, Flow.
Die Autobahn ist für mich kein angenehmer Ort. Ich krieg heute noch Schweißhände, wenn ich eine Autobahnauffahrt hochfahre. Ich hatte mal einen Unfall, an dem ich Schuld war, zwei Leute saßen mit im Auto, ist zwar niemandem was passiert, aber trotzdem. Das will ich nicht nochmal erleben. Das Auto war total kaputt, es war das von meinem damaligen Freund. Mir ist das einfach alles zu schnell da, ich finde, die Autos sind Waffen, die von ihren Fahrern herumgeschossen werden, diese wahnsinnigen Geschwindigkeiten auf der linken Spur, der Druck der hier herrscht, hau ab, du Pupsi, für mich ist das gelebtes Männer-Narzissten-Arschlochtum, Recht des Stärkeren. Und dann noch die LKWs. Irgendwie ist das so, auf der Autobahn: Rechts, da fahren die Arbeiter. Auf dem Mittelstreifen, wo's auch mal Frauen gibt, die zur Arbeit, zum Einkaufen oder die Kinder in die Schule fahren, die Angestellten, und auf der linken Spur fährt die herrschende Klasse, die Manager, Politiker und Drogenbosse.
Was mir gefällt ist, dass es hier noch einen weiteren Aspekt gibt, den ich stark mit der Autobahn verbinde: Langeweile und Dösigkeit (schlägt bei längerer Fahrt in Rammdösigkeit um.). Der perlt ja auch so unaufgeregt vor sich hin. Dieses Fahren macht ja auch was mit dem Hirn, die Straße pflastert sich in den Kopf fort, man kommt in so einen Flow, genau wie die Musik.
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Necki: Als ich anfing, mir Gedanken über den Mix zu machen, war ziemlich schnell klar, dass dieses Stück an den Anfang muss. Schon beim Aufnehmen von Mix-Cassetten in früheren Zeiten war die Auswahl des ersten und letzten Songs immer von großer Wichtigkeit, weil das dann den Rahmen für alles weitere vorgibt, ich mich von einer Stelle auf eine andere bereits festgelegte zubewegen kann.
Kraftwerks Autobahn beinhaltet viele Facetten, die die Beziehung zwischen Musik und Auto charakterisieren: Neben dem Thema als textlicher Inhalt vor allem die musikalische Umsetzung, so dass sich die Hörenden sofort wie im Auto fühlen, inklusive den Tönen, die Autofahren eben auch produziert. Und die spielen bei vielen der folgenden Stücke auch eine Rolle, teilweise als Originalaufnahmen von Autogeräuschen, teilweise mit dem Mund nachgeahmt, mit Instrumenten nachgespielt, oder auch nur assoziativ.
Auf der gleichnamigen LP ist das Stück Autobahn übrigens über 20 Minuten lang, da entfaltet sich die Dösigkeit, die du ansprichst, noch mehr. Kraftwerk ist diese tolle Verbindung von Musik beim Fahren mit der LP Trans-Europa-Express von 1977 fast noch besser gelungen, die sollte man unbedingt mal während einer Zugfahrt über Kopfhörer hören.
02 T.Raumschmiere: Monstertruckdriver
Shitkatapult, 2003
Eva: Oh, wow, das macht richtig Spaß! Ich hab das Gefühl, hier wird auf der Stelle gestampft statt gefahren. Das ist eher so technisch, Schraubenschlüssel-knatschig, und so bouncy auf und ab wippend, gar nicht so geradeaus lange Strecke. Bisschen kindlich auch, als hätte jemand ein riesengroßes fettes neues Auto bekommen, mit den dicksten Reifen und den geilsten Stoßdämpfern, das sich jetzt auf die Füße stellt. Das Auto ist hier ein Gegenüber, mit dem ich Lust hab zu tanzen.
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Necki: Der Track ist jetzt auch schon 17 Jahre alt, aber einer der jüngsten hier im Mix. Kann natürlich daran liegen, dass ich sowieso viel alte Musik höre, aber ich bin mir sicher, dass das Thema Auto heutzutage nicht mehr eine so große Rolle spielt in der Pop-Musik wie in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Ausnahme ist so peinlicher Poser-Hip-Hop, da scheint ein teures Fahrzeug von einer der angesagten Marken immer noch essentiell zu sein, um richtig angeben zu können.
03 Vince Taylor And His Playboys: Brand New Cadillac
Parlophone, 1959
Eva: Hm. Fällt mir nichts zu ein. Ich glaube aber auch, ich kapier‘s nicht. Sie hat einen Cadillac und verlässt ihn? Gendertechnisch vielleicht interessant, aber ich finde Cadillacs hässlich. Den Song auch eher unlustig. American Graffiti ist ne Assoziation, aber auch nur bei gutem Willen.
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Necki: Ich assoziiere eher Rebel Without A Cause von Nicholas Ray mit James Dean und der Chicken Run Auto-Mutprobe.
Ab den 1950er Jahren gehörte das Auto unumstritten zu einem der begehrtesten Objekte aller Jugendkulturen. Als Symbol für mobile Freiheiten, aber auch ganz real: Um die Möglichkeit zu haben, aus der elterlichen Obhut zu gelangen, sich an anderen Orten mit Gleichgesinnten zu treffen, als Ort für den ersten Kuss oder schnellen Sex, ohne die Gefahr, dass man im Jugendzimmer dabei überrascht wird.
Ob das hier gendertechnisch so interessant ist, bezweifle ich. Glaube eher, dass der Song in die Kategorie fällt: "Mann beschwert sich über Frau, die ihn verlässt". Sie steht auf Männer mit schicken neuen Autos, deshalb ist er mit seiner alten Karre chancenlos bei ihr. Hab sogar den Eindruck, dass er das irgendwie akzeptiert. Ist halt ein Brand New Cadillac.
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04 Stan Farlow: Hot Wheels
Checker, 1970
Eva: Ha! Ich sachs ja, der Arbeiter! Ist schon komisch, Arbeit und Auto. Arbeit am Auto, im Auto, unterm Auto, ums Auto herum. Die Arbeit des LKW-Fahrers ist es, die Maschine irgendwo hin zu fahren. Eine Maschine, deren Essenz es ist, dass sie fährt, muss gefahren werden. Was für eine Analogie für Arbeitsschwachsinn an sich. Wer hängt bei wem am Tropf, wer conducted wen. Mann, freu ich mich, wenn die Autos endlich selber fahren. A man couldn‘t ask for more? Ohje. Hot Wheels, Women klar, wer‘s glaubt. Ein faules Versprechen. Vom American Dream. Ich assoziiere: die Kneipe mit Country-Musik, besoffene Männer, die der Bedienung auf den Arsch starren, und wenn sie hinfassen, einen resoluten Spruch abkriegen, Prostitution, Vergewaltigung auf dem Parkplatz. Komisch, wie man bei den fürchterlichsten Berufen immer so eine Ideologie-Produktion braucht, die die Sache erträglich macht, wie bei den Miners. Am Ende des Songs muss der sich ja dann auch noch richtig hochlachen. Hölle indeed.
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Necki: Funktionale Musik, also Music to drive by, da gibt es auf jeden Fall für den Berufsstand der LKW-Fahrer das größte Angebot. Logisch der Trucker hat ja auch den größten Bedarf, Kilometer um Kilometer muss er fahren, da braucht's viel Musik!. Ein ganzes Genre ist das, Road Music, vor allem natürlich Country, das scheint irgendwie zur gemäßigten LKW-Geschwindigkeit zu passen.
Eine Spezialform davon in den späten Siebzigern: Der Trucker als feiner Kerl mit Herz für Kinder, z.B. Teddy Bear von Red Sovine, hier eher bekannt in der eingedeutschten Version von Jonny Hill: Ruf Teddy-Bär Eins-Vier. War sicherlich für das positive Image der LKW-Fahrer damals noch förderlicher als die Aufkleber, die etwa zur gleichen Zeit kursierten (Brummi wünscht gute Fahrt). Für die dunkle Seite empfehle ich den Film Duell von Steven Spielberg.
05 Joe Tex: King Of The Road
Atlantic, 1965
Eva: Hier also die Variante: Der sympathische Underdog, der nix hat, dem nix bleibt, der aber in seinem Status trotzdem oder gerade deshalb wenigstens King of the road ist. Bisschen von außen, milieubeschreibender erzählt. Die demokratische Haltung gegen die republikanische, siehe oben.
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Necki: Ein Song des Country-Sängers Roger Miller, hier in der Version des Soul-Sängers Joe Tex. Hört sich zunächst vielleicht auch ein wenig wie ein Trucker-Song an, geht aber um was anderes. Nämlich um die Freiheit, umsonst zu reisen, entweder als Hobo auf Güterzügen, oder eben als Hitchhiker am Highway.
Ich hab nie eine große Reise als Tramper gemacht, fasziniert hat es mich aber schon. Spätestens seit Corona hat sich das Thema wohl auch erledigt, welcher Autofahrer nimmt da noch einen Fremden mit in sein infektionssicheres Fahrzeug. Gibt es bei selbstfahrenden Fahrzeugen eigentlich die Funktion "Anhalter mitnehmen"?
Bei dem King of the Road handelt sich meiner Ansicht nach wohl eher um einen Wanderarbeiter und ich bin mir nicht ganz sicher, ob das hier angepriesene einfache Leben und die Freiheit von allen Verpflichtungen, nicht doch einen sarkastischen Unterton hat, die auf das prekäre Leben verweist.
06 Cookin' On 3 Burners: Cars
Freestyle, 2009
Eva: Nice piece. Aber Cars, why Cars? Ich hör nichts.
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Necki: Dies ist eine instrumentale Version eines Songs von Gary Numan aus dem Jahr 1979.
Da geht es um das Auto als sicheren Raum. Wie im Film Cosmopolis von David Cronenberg. Draußen herrschen chaotische, gefährliche Zustände, in meinem Fahrzeug bin ich privilegiert und safe.
Gary Numan sagt zur Entstehung des Songs laut Wikipedia: "I was in traffic in London once and had a problem with some people in front. They tried to beat me up and get me out of the car. I locked the doors and eventually drove up on the pavement and got away from them. It's kind of to do with that. It explains how you can feel safe inside a car in the modern world... When you're in it, your whole mentality is different... It's like your own little personal empire with four wheels on it."
07 John D. Loudermilk: Road Hog
RCA Victor, 1962
Eva: Tolle Story! Komplette Dramaturgie, richtig gut gebautes kleines Drehbuch. Musste aber die lyrics nachgucken, bevor ich wirklich folgen konnte. Großartig, wie hier mit der konkreten Fahrsituation Spannung aufgebaut wird, mit den Entscheidungen, die beim Autofahren getroffen werden müssen: speeding up, slowing down, blinked my lights, started to pass, stepped on the gas. Triumphales, befriedigendes Ende, das überraschend einen neuen Frame für den ganzen Song setzt. Die Musik im totalen Widerspruch zur Geschichte, die Situation ist bedrohlich, die beiden buddies im Auto müssen um ihr Leben fürchten, kämpfen tapfer gegen ihren Gegenspieler, aber die Musik bleibt fröhlich wie bei einem Wochenendausflug mit dem buddy. Den haben sie eben locker erledigt, den Road Hog, war doch klar.
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Necki: Dem ist nichts hinzuzufügen, hervorragend kommentiert! Loudermilk war ein wirklich origineller Songschreiber.
08 Peter Lind Hayes & Mary Healy: I Wish I Was A Car
Columbia, 1955
Eva: Das grundsätzliche Missverständnis zwischen Männern und Frauen entzündet sich hier am Auto. Der Mann liebt die Maschine, die Frau liebt den Mann. So fahren sie gemeinsam dahin, auf ewig. In Songs der 50er bis 70er wird anscheinend gerne gelacht.
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Necki: Wieso gibt es eigentlich beim Thema Auto einen so krassen geschlechtsspezifischen Unterschied? - Wieso hat sich da so ein Fetisch bei vielen Männern entwickelt? - Kann mir das jemand erklären? - Mir ist das schleierhaft.
Ob in Songs aus dieser Zeit generell viel gelacht wurde, kann ich schwer beurteilen. Bei mir aber immer gerne. Ich habe tatsächlich eine Vorliebe für Songs, die nicht zu ernst daherkommen und die Interpreten nicht zu authentisch sein wollen. Das wird mir auch manchmal von befreundeten Musiknerds vorgeworfen.
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09 Charles Trenet: Route Nationale No.7
Columbia, 1955
Eva: Auto und Urlaub! Es ist der 1. Juli, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, alle Franzosen packen Kind und Kegel in den Kofferraum und fahren von der Seine an die Côte. Dort übernimmt dann Monsieur Hulot.
Mir fällt da spielverderbermäßig die berühmte Sequenz aus Weekend ein, wo die Reise ins Wochenende eine des Stillstands, der Idiotie und der gleichmütig hingenommenen Kollateralschäden am Wegesrand ist. Ich kenne jemanden, der seinen Kindern vor der Reise in die großen Ferien einen Schlummertrunk in die Milch gemischt hat. Auto und Nation auch, starke Identitätsbildung, Stoßstange an Stoßstange gräbt man sich durchs eigene Land, durch die Grand Nation, das Auto macht uns zu Franzosen. (zu Deutschen. Zu Amerikanern.) Ich sehe: Chanson singende Franzosen im Auto, Musical-Style.
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Necki: Da meine Eltern weder Führerschein noch Auto besessen haben, kenne ich die große Familien-Urlaubsreise mit dem Auto nur aus Erzählungen, Büchern und Filmen. Da ich als Kind Modelleisenbahner war, haben mir Zugreisen eh viel besser gefallen.
Den Song Route National 7 habe ich zuerst in einer tollen Version aus dem Jahr 1981 von der belgischen Band The Honeymoon Killers gehört. Falls wir irgendwann in einer Post-Corona-Zeit die Autosalon-Veranstaltung machen können, gibt es den dann natürlich zu hören.
10 Mary Roos: L'Autoroute
CBS, 1972
Eva: Da springt bei mir sofort was an (haha), das muss daran liegen, dass das ne Frau singt. Und/oder ich den Song oft gehört habe, weil er auf irgendeiner Easy Listening Platte war, die ich in den 90ern hatte. Smokey Freiheit und Abenteuer ist das nicht, sondern Sommer, Sonne, Sonnenschein, sich treiben lassen, alles ist leicht, die Fenster sind offen, womöglich das Verdeck, das Auto ist klein, bescheiden, studentisch, 2CV, VW Käfer, R4, sie ist die Fahrerin, zum ersten Mal assoziiere ich das hier, das hatte ich bisher bei keinem der Songs, sie trägt ein Sommerkleid, da kann man auch mal kurz rausfahren, anhalten, am See, und im Auto Sex haben. Mit dem Typ, der plötzlich auf dem Beifahrersitz sitzt.
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Necki: Ich habe das Lied erst vor kurzem entdeckt. Mary Roos hat ansonsten ja viele ganz schlimme deutsche Schlager gesungen. Aber bei ihrem Ausflug in den französischen Sprachraum hier, hat man mit ihr diesen tollen Song produziert, der irgendwie wirklich Lust aufs Autofahren macht, so ganz ohne dunkle Seite, oder?
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11 The Smiths: There Is A Light That Never Goes Out
Rough Trade, 1986
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Eva: Funktioniert voll bei mir. Ich hab mich das nie getraut zu sagen: Hol mich ab. Weil ich ne Frau bin und sich das nicht gehört, dass man seinem Typ das sagt. Zu tussimäßig. Dabei ist es schön. Wenn man das sagen darf. Wenn es okay ist. Bitte hol mich ab, ist Liebe. Bitte hol mich hier raus. Sei bei mir, lass mich einfach neben dir sein, fahr mich herum, damit ich draußen sein kann, ohne draußen zu sein, ohne was machen zu müssen, damit ich am Leben sein kann, aber hinterm Fenster des Autos. Das Fahren hält die Depression in der Balance, und deshalb ist es nicht schlimm, wenn es jetzt kracht, dann war man an einem Ort von Liebe und Trost.
Der Tod wird im Auto immer mitgedacht.
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Necki: Genau, hier ist die dunkle Seite schon wieder da.
Ich kann mich daran erinnern wie der Song in meinem ersten (und einzigen) Auto lief (einem gebrauchten, grünen Toyota Starlet). Im Sommer 1986, kurz nach dem Abi, Schule war vorbei. Zivildienst, Bundeswehr, Studium, Praktikum oder Job, das alles fing für uns erst in ein paar Wochen an. Wir haben in der Zeit gerne so genannte Autopartys veranstaltet: Sich bereits am frühen Nachmittag mit vier, fünf oder mehr Leuten auf irgendeinem Parkplatz in der Stadt treffen. Wir stehen um das Auto herum. Türen und Kofferraum sind geöffnet: Wegen der Kiste Bier im Kofferraum, und der Musik von Cassetten aus dem Abspielgerät beim Autoradio. Wir quatschen und trinken, Bekannte kommen vorbei, bleiben, andere gehen, nichts ist wirklich geplant, aber alles ist möglich. Manchmal entwickelt sich eine richtige Party bis in die Nacht, manchmal fährt man später noch irgendwo hin (zur Disco oder zum Deich, auch angetrunken, aber kein Doppeldeckerbus in der Nähe), manchmal bleibt es aber auch bei einer kleinen Gruppe und man fährt, frustriert von der Kleinstadt um einen herum, nach Hause. Und hörte passenderweise die Smiths-Songs.
12 Pierro Piccioni: Traffic Boom
Beat Records, 1974
Eva: Das ist für mich Kino. Das Auto hier ist elegant, amerikanisch, film-noirig, erzählt von Verbrechen, Verbrecherjagd, der Nacht, den Lichtern. Es ist gar nicht real, eher so ein Objekt mit Objektstatus, das mich und den geplagten Helden in die Leinwand trägt und durch den Film. Da muss gar nicht mehr viel passieren.
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Necki: Film und Auto und Musik. Insbesondere Verfolgungsjagden mit Autos scheinen Komponisten von Filmmusik zu Höchstleistungen zu inspirieren. Zum Beispiel auf Blaxploitation-Soundtracks aus den 1970er Jahren von Quincy Jones, Curtis Mayfield oder auch die Musik zur TV-Serie von Die Straßen von San Francisco von Patrick Williams.
Hier handelt es sich allerdings um Musik aus einem italienischen Film von Lina Wertmüller, den ich nicht kenne. Verwendet wurde das Stück aber auch in The Big Lebowski von den Coen-Brüdern.
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13 Rose Royce: Car Wash
MCA, 1976
Eva: Großer Spaß. Ich kann das komischerweise nicht hören ohne Hot Babes in Hot Pants, pinkfarbene Cadillacs und viel Schaum zu sehen. Woran liegt das denn?, mit dem Film hat das ja nichts zu tun. Da ist was verrutscht. Im Film waschen schwarze Jungs die Autos von Menschen aller Schichten, oder? Die kommen hier in der Waschanlage zusammen wie auf einer Agora. Ein Auto hat jeder. Auch die Blacks, die für ein paar Dollar das Auto einseifen?
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Necki: Ein ganz tolles Stück zum Thema Arbeit und Auto ist leider am Ende rausgefallen aus diesem Mix: Hard Workin' Man vom Soundtrack zu Blue Collar von Captain Beefheart und Jack Nitzsche, das so einen hämmernden Autofabriksound aus der Zeit vor der Roboterisierung als Blues-Rhythmus benutzt.
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14 Grace Jones: Pull Up To The Bumper (Larry Levan Garage Mix)
Island, 1981
Eva: Jo, not a fan. Tolle Auto-Sounds, keine Frage. Hupen, schimpfen, bisschen weiter, stopp. Kriege immer so ne Animations-Assoziation. Gabs da mal ein Video zu oder woher kommt das? Ich seh so kleine animierte Autos, die sich gegenseitig in den Hintern boxen. Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff: Garagenmix!?
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Necki: I'm a big big fan. Ich glaube mein Lieblingsstück von allen aus dem Mix hier. Habe das mal einer Freundin aufgenommen, die die Cassette dann während eines New York Aufenthalts über Walkman gehört hat und mir danach erzählte, dass sie irgendwann nicht mehr unterscheiden konnte, welche Töne von Manhattans Straßen und welche als Sound aus dem Kopfhörer kamen. Das fand ich schön.
Woher deine Animations-Assoziation kommt, ist mir ein Rätsel. Das Video, das ich finden konnte, zeigt hauptsächlich Aufnahmen realer Autoschlangen in amerikanischen Großstädten im Fast Forward Modus. Und nicht nur wegen der sexuellen Komponente, mit der der Song spielt, assoziiere ich eher enge Tanzflächen im New Yorker Nachtleben, Studio 54 oder eben Paradise Garage, den legendären Club, in dem Larry Levan aufgelegt hat, und für den er vermutlich diesen Remix angefertigt hat, der deshalb Garage Mix heisst.
15 Absolute Beginner: Fahrn
Buback, 1998
Eva: And again: Auftakt Anlasser. (Wie viele Songs es wohl gibt, die so anfangen?) Ein Deutschland-Essay. Ein Heimatlied. Bezugnahme / Abgrenzung. Das Auto als Raum im Raum. Fahrn ist auch vorbeifahren, an den teigigen, deutschen Dumpfbacken, zwar auf den gleichen Straßen wie sie, aber in Abgrenzung zu ihnen. Zwischen Innen und Außen sind zwei Welten, das Auto schafft Distinktionsgewinn. Schön die Beschreibung der Raststätte. Aber wieder daheim in Hamburg ists halt am Schönsten.
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Necki: Musiker, die auf Tour gehen, haben sicherlich ein ganz besonderes Verhältnis zum Autofahren. Vielleicht nicht ganz so intensiv wie die Trucker, aber wie soll man sonst zu den Konzerten in verschiedenen Städten gelangen. Und wie gesagt, ich stehe gar nicht so sehr auf eine authentische Erzählung in Pop-Musik-Texten, sonst wäre das vermutlich ein Thema, von dem viele Bands berichten können.
16 Nick Mason: Can't Get My Motor To Start
Harvest, 1981
Eva: Schön crazy. Das Auto, das nicht fährt. Die ewige Rätselei, was hats denn, was brauchts denn, hast du mal dies gemacht, hast du mal das versucht. Es nervt, ist ne Last, kostet einen Haufen Geld. Let's get rid of it! Endlich mal jemand, der das Auto kaputt macht, es über die Klippe springen lässt. Zur Strafe, weil's nicht funktioniert! Es funktioniert einfach nicht, Leute!!
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Necki: Eigentlich eine Carla Bley LP, die hier alle Songs für den Pink Floyd Drummer Nick Mason geschrieben hat.
Tatsächlich das Allerschlimmste: ein Auto, das nicht fährt. Es soll ja Autobesitzer geben, für die das dann eine willkommene Herausforderung ist: Die Motorhaube zu öffnen, den Ölstand, das Kühlwasser, die Batterie und alles andere zu prüfen. Für mich war das immer die Hölle, genauso wie Fahrten zur Werkstatt oder zum TÜV.
Further Listening zu dem Thema: Der Anlass Jodler von Fredl Fesl, mit dem Refrain: "Ein Auto, das nicht fährt, das ist sein Geld nicht wert".
17 Buzzcocks: Fast Cars
United Artists, 1978
Eva: Noch mehr, diesmal punkige Auto-Wut. Ich dachte zuerst, das wär ein Riot-Girl-Song. Ist aber ein Sänger, ne? Irgendwie queer konnotiert? Fast Cars als Chiffre für blöde Angeber-Macho-Jungs. Beinahe rührend, wie er vorsichtig anklopft und sagt: Fast cars are so dangerous. Er entschuldigt sich fast dafür, will ja keinen fuss machen, aber er findet die irgendwie echt nich' so gut. Im Refrain dann ist er deutlicher: I hate Fast Cars.
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Necki: Ganz am Anfang des Projekts hattest du ja mal den Straßenjungs-Song Verkehr erwähnt, als Beispiel für Kritik am Auto, schon vor 40 Jahren. Da ich den nicht so gerne im Mix haben wollte, gibt es dafür als Ersatz die Buzzcocks, ungefähr aus der gleichen Zeit.
Aber queer? - Mmhhh, die Band wurde meines Wissens nach nie in dem Kontext rezipiert. Songschreiber Pete Shelley hatte später allerdings einen Solo Hit namens Homosapiens, der wegen seiner homosexuellen Bezüge von der BBC nicht gespielt wurde.
18 Abwärts: Unfall
Zick Zack, 1980
Eva: Kein verheißungsvoller Zündschloss-Auftakt diesmal, sondern die Verkehrsmeldung. Oh Herr, gib uns unseren täglichen Unfall heute. So ist das. Ganz normal. Man stirbt an Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Unfall. Welcher der Begriffe gehört nicht in die Reihe? Wer jemanden kennt, der jemanden ohne Unfall kennt, der hebe die Hand.
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Necki: Kurz vor Redaktionschluss auch rausgefallen, aber an dieser Stelle zum Thema Unfall unbedingt erwähnenswert: The Normal mit Warm Leatherette. Ein Song inspiriert von J.G. Ballards Roman Crash.
19 Nervous Norvus: Transfusion
Dot, 1956
Eva: Uuund Abgesang. Tod durch Auto oder Transfusion ist hier die Frage.
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Necki: Gäbe noch sooooo viele Songs, aber jetzt ist Schluss.
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Thanks for the ride!!!
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Eva Berlin-Schmidt
29.5.2020
Thanks for co-driving!!!
Necki
26.6.2020
Necki lebt in Hamburg und hat seinen ersten Mix mit sieben Jahren hergestellt, als er mit Hilfe des Kassettenrekorders seiner älteren Schwestern die besten Hits aus dem Radio aufnahm. Seitdem ist er fast täglich auf der Suche nach interessanter Musik aller Genres, Zeiten und Regionen. Nach dem Verschwinden von physischen Tonträgern veröffentlicht er thematische und pophistorische Zusammenstellungen auf seinem Mixcloud-Kanal (www.mixcloud.com/Necki), wo auch eine Rekonstruktion seiner ersten Mixkassette zu finden ist.
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