Zur Verkehrslage und zu neuen Perspektiven, die über den individuellen Automobilverzicht hinausgehen
Die Corona-Krise rückt die miserablen und unhaltbaren Zustände rund um den Verkehr besonders deutlich in den Fokus. Industrie und Politik wollen nun nach einigen Monaten des Lockdowns wieder „durchstarten“. Die Konkurrenz „schläft nicht“ und es gibt hunderttausende Fahrzeuge auf Halde, die zusammen mit den neu produzierten Fahrzeugen losgeschlagen werden müssen. Ich werde noch lange in Erinnerung behalten, und Sie wahrscheinlich auch, welche Ruhe auf den Straßen geherrscht hat, wie sauber die Luft war und wie Gerüche wiederkehrten, die man üblicherweise nur noch in abgelegenen, verkehrsarmen Gegenden der Welt erschnuppern konnte. Gelassen und gemächlich die Straßen entlang zu spazieren, ohne von einem Auto verjagt oder gehindert zu werden, war eine köstliche Erfahrung. In einigen Stadteilen Hamburgs, einer ausgesprochen grünen Stadt, duftete es nach Blüten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch der Schiffsverkehr hat stark nachgelassen und die dieselmuffige Dunstglocke, die üblicherweise einige Stadteile umhüllt und die schönen Gerüche überdeckt, war buchstäblich wie weggeblasen. Die Kreuzfahrt-Branche hat sehr darunter gelitten. Mit dem ganzen Naturbrimborium soll jetzt wieder Schluss sein. Der Laden muss brummen und es gibt viel aufzuholen, um wachstumsmäßig wieder in die Spur zu kommen.
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Leider haben bisher nur wenige Städte die Chuzpe gehabt, den wunderbaren Zustand wenigstens ein wenig festzuhalten und sich gegen den bisherigen automobilen Mainstream zu stemmen. Immerhin wurden hier und da Pop-Up-Radwege angelegt. Ob wirklich durchdachte und brauchbare Konzepte, die an diesen provisorischen Maßnahmen anknüpfen, nun umgesetzt werden, wird sich noch zeigen. Ich bin skeptisch. Seit Jahrzehnten wird mit wachsender Sorge über den Klimawandel und über die dringend nötigen Veränderungen des Weltverkehrs debattiert. Wissen über die Klimazusammenhänge ist mehr als genug vorhanden und die Thematik ist auf allen politischen und institutionellen Ebenen bekannt. Jetzt, im Kontext von Corona, werden immer mehr Stimmen laut, denen man dies bisher nicht zugetraut hat, die nun die Krise dazu nutzen möchten, einen generellen Richtungswechsel in der Klimapolitik einzuleiten. Kürzlich hat die kleine Schwester der automobilen Konzernchefs Angela Merkel, unterstützt durch einige SPD-Genossen, es erstmals gewagt, ihren großen Brüdern Paroli zu bieten und eine Verkaufsprämie für Benziner und Diesel abzuwehren. Doch der Teufel steckt im Detail. Warten wir es ab.
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Sobald es um die Umsetzung tiefgreifender Veränderungen geht, erleben wir Zaghaftigkeit, Ängste, Widerwillen, Kompetenzgewirr und das unheimliche Gefühl, dass wir Teil eines automatischen Prozesses sind, der, einmal vorprogrammiert, bis auf ewig seine Routinen abspult. Umprogrammieren scheint unmöglich zu sein. Doch selbst wenn die Elektromobilität gefördert würde, würde sie nicht zu grundlegenden Veränderungen der Verkehrsinfrastruktur führen und die vielen mit der Fahrzeugproduktion verbundenen Probleme lösen. Auch Elektroautos brauchen dieselben Straßen wie vorher. Neue Umweltprobleme kommen dazu, die besonders durch die Herstellung der Fahrzeugkomponenten von E-Autos, E-LKW, E-Bikes, E-Rollern erzeugt werden. Und der Strom? Die Atomkraftbetreiber wittern Morgenluft. Fahrzeugindustrie und Verkehrs-Infrastruktur sind mit fast allen Bereichen unseres Lebensalltags verknüpft: Wo wir arbeiten und wie wir dorthin gelangen; wieviel Zeit wir dafür benötigen; auf welche Verkehrsmittel wir angewiesen sind; wo wir wohnen, wo wir einkaufen und wohin wir reisen; wie viele Verkehrsadern die Städte und die Landschaften durchziehen; wie Büros und Wohnhäuser um die Straßen gruppiert werden; ob wir unser Einkommen in einem dieser Bereiche erzielen, in einer Montage- oder Zuliefererfabrik, einem Autohaus, einer Reparaturwerkstatt, dem Verkehrsplanungsamt etc. etc. Können wir auf all dies entscheidenden Einfluss ausüben?
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In den letzten Jahren sind neue und starke, weltumspannende Umweltbewegungen und Initiativen entstanden, die enorm viel Aufmerksamkeit und Kontroversen verursachen. Darunter Fridays for Future, die Anti-Kohlekraft-Bewegung oder die vielen städtischen Initiativen für größtmögliche nachhaltige, ökologische und energetische Selbstversorgung. Die Kritik aus der Umweltbewegung ist laut und argumentreich, steht aber ziemlich zahnlos dar, wenn es um die Umsetzungsmöglichkeiten echter Alternativen geht. Der automatische Prozess, der die Gesellschaft in die Katastrophe treibt, scheint außerhalb jeder individuellen und gesellschaftlicher Beinflussbarkeit abzulaufen, sodass Millionen unzufriedener Menschen die Lösung der drängenden Probleme hauptsächlich mit individuellen Verhaltensänderungen erreichen möchten. Das ist absolut verständlich, rüttelt aber nicht an dem automatischen Prozess, der nichts anderes als das verselbständigte Ganze einer auf Marktprinzipien basierenden Gesellschaft ist. Individuelle Verhaltensänderungen können zu neuen Problemen an anderer Stelle führen. Gehen wir der Sache mal auf den Grund.
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Auf die Anzahl hergestellter Fahrzeuge, Fahrzeugtypen, verwendete Ressourcen, Arbeitsbedingungen, Eingriffe in Umwelt und Natur, Transportwege für ihre Produktion und Lieferung und viele Aspekte mehr, haben die künftigen Autokäufer*innen keinen direkten und nur sehr eingeschränkten mittelbaren Einfluss. Sie wählen unter dem Angebotenen aus und dürfen den ein oder anderen individuellen Wunsch im Rahmen des Möglichen äußern. Das war‘s auch. Fahrzeuge sind zwar auch Produkte für die Mobilität, aber darauf kommt es erst in zweiter Linie an. Wichtiger ist, dass es sich um Waren handelt, die für den Tausch auf dem weltumspannenden anonymen Markt hergestellt werden. Die diversen Managements handeln im Auftrag der Besitzer*innen, deren Auftrag lautet: Die Konkurrenz ausstechen, die Marktstellung behaupten und möglichst viel Gewinn erzielen.
Je größer allerdings ein Konzern, desto größer die technologischen Investitionen, desto geringer müssen die Lohnkosten und desto größer der Output ausfallen, damit gewinnbringend gewirtschaftet wird. In den Anlagen sind gigantische Kapitalien gebunden, die sich rentieren müssen. Aufwändige Werbestrategien, die ebenfalls Material und Arbeitskraft verschlingen, sind zur Animation des Kaufinteresses potenzieller Kundschaft unerlässlich. Lobbyisten werden platziert und konditionieren die politischen „Entscheider“. Floppt eine Modellreihe, sind Milliarden in den Sand gesetzt. Verhält sich der Konzern nicht regelkonform, wird er unweigerlich vom Markt verschwinden.
Einmal angenommen, es geschieht ein Wunder und in der Führungsetage und dem Betriebsrat eines Automobilherstellers setzt sich die Vorstellung durch, weniger Fahrzeuge seien für die Gesellschaft gesünder und andere Formen der Mobilität sinnvoller, was dann? Unmittelbar stellt sich die Frage nach alternativen Produkten, die sich ebenfalls als Waren gewinnversprechend veräußern lassen. Würde diese Firma auf Fahrräder aller Art umstellen, müsste der produzierte Output die Dimension hunderter Millionen Exemplare erreichen. Adieu alle anderen kleinen, mittleren und größeren Hersteller, Bastler und Tüftler. Denn die Fahrradbranche ist ja nun mal denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen, die für alle anderen Unternehmen auch gelten. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob ein Manager oder Besitzer ein gieriges ignorantes Monster oder eine verständige, bescheidene Person mit Umweltbewusstsein ist.
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So wenig wie die Fahrzeugkäufer*innen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen, sowenig Möglichkeiten gibt es für die Einwohner*innen, über die Infrastruktur einer Stadt, eines Stadtteils oder ländlichen Gebiets zu bestimmen. Einfluss ist immer nur indirekt und ziemlich begrenzt über Politik, Behörden, Haushaltsverteilung etc. möglich. Es braucht schon einen sehr langen Atem, nur um ein Stückchen Fahrradweg anlegen zu lassen oder eine Straße zu verkehrsberuhigen. Und selbst wenn Menschen in den bestimmenden Institutionen für sinnvolle Argumente und Lösungen zugänglich sind, zählt am Ende nur dieselbe Frage, die sich auch die Firmen stellen: Wie voll ist das Säckel, um das sich zahllose andere Interessenten und Bereiche balgen. „Wer soll das bezahlen?“ ist deshalb die erste Frage, die bei Debatten über sinnvolle Neuerungen gestellt wird. Zumal sich die Schuldenberge, von der kommunalen bis zur gesamtstaatlichen und überstaatlichen Ebene, längst exponentiell auftürmen. Der Einfluss der Individuen, selbst wenn sie sich zusammenschließen, ist so gering, weil ein Dickicht aus Finanzhaushalten, Gesetzen, Interessen, Zuständigkeiten, Abhängigkeiten, „Freundschaften“ etc. jedes Durchkommen zu einem zähen, langatmigen und frustrierenden Unterfangen machen.
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Die bisherige Praxis zeigt, wie Forderungen nach einer umfassenden Umgestaltung des Straßenverkehrs zugunsten von Pedalkraft in endlosen, kleinteiligem Streit um die Verbreiterung des Fahrradwegs in der Straße X, die Behebung der Löcher in Straße Y und den Aufbau neuer Fahrradampeln an Kreuzung Z mutiert. Der große Kontrast von formulierten Ansprüchen des „Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs“ und den minimalen konkreten Fortschritten in der Umsetzung, lässt sich auf deren Homepage gut nachvollziehen. Die vielen kleinen „Verbesserungen“, die das Ergebnis zäher Verhandlungen auf kommunaler Ebene sind, lassen das eigentliche Ziel in weite Ferne rücken. Klein Klein wächst nicht, sondern bleibt Flickwerk. Sind die Mitarbeiter*innen des ADFC keine guten Lobbyisten oder unfähige Leute? Natürlich nicht. Sie passen sich zwangsläufig den gegebenen Möglichkeiten an, die ihnen das bürokratische Dickicht und die fehlenden Entscheidungsmöglichkeiten lassen.
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Wir können alle individuell darüber entscheiden, ob wir ein eigenes Automobil erwerben oder nicht. Frei sind wir in dieser Entscheidung nur bedingt. Sie hängt von vielen Faktoren ab, die für ein Individuum unterschiedliches Gewicht haben. Infrastruktur und öffentlicher Verkehr sind gegeben, der Wohn- und Arbeitsort ebenfalls. Nur wer das Privileg hat, sich Standorte, Tätigkeiten und Einkommen auswählen zu können, ist in der Wahl etwas freier. Die vorherrschende Trennung von Wohnen und Arbeitsplatz und schlechte öffentliche Verbindungen erzwingen hierzulande in der Regel eine Entscheidung zugunsten eines Autos und obendrauf verstopft und verpestet der LKW-Verkehr die Autobahnen und Innenstädte.
Was ändert sich durch den individuellen Verzicht auf ein Fahrzeug? Positiv gesehen beteiligt man sich an weniger Umweltverschmutzung, Raumverschwendung, Unfallrisiken, Verkehrsverdichtung, Lärm und anderem mehr.
Nehmen die alternativen Kaufentscheidungen eine große Dimension an, hat dies für die Menschen, die in den ganzen Produktions- und Lieferketten arbeiten, negative existenzielle Konsequenzen, selbst wenn auch für sie eine grundlegende Veränderung des Verkehrswesens gesünder wäre. Sollten Menschen massenhaft aufs Fahrrad umsteigen und die Infrastruktur zulasten der Automobile umgebaut werden, können Automobilkonzerne, von denen ganze Städte, Regionen und Staaten abhängen, ohne weiteres zusammenbrechen. Hunderttausende Menschen würden erwerbslos, angefangen bei den Arbeitern und Angestellten des Unternehmens und der Zulieferindustrie im In- und Ausland, bis hin zum Verkäufer oder der Verkäuferin am Kiosk, die die Nachtschicht mit versorgt. Der Niedergang der Stahl- und Kohleindustrie in vielen Regionen hat deutlich gezeigt, wie gewachsene Gemeinschaften, Dörfer, Städte und verflochtene Strukturen sich auflösen und dem Verfall anheimfallen. Die Menschen werden entwurzelt und müssen auf der Suche nach Einkommen weiterziehen. Davor graut Politiker*innen, die wiedergewählt werden möchten.
Entsprechend richtet sich die Politik auch aus: Grüne, SPD, CDU, AFD, CSU, Linke und wer sonst noch in dieser Sphäre kreucht und fleucht, halten entweder an den bedrohten Arbeitsplätzen fest oder sie flüchten in eherne Wunschvorstellungen. Die einen argumentieren, dass der Markt schon dafür sorgen wird, dass sich genügend neue Bereiche auftun, in denen die Menschen ihr neues Erwerbsleben fristen können. Das sei immer schon so gewesen. Wer sich genug anstrengt, kreativ und findig ist findet dort schon was. Solche ungewissen und nebulösen Perspektiven beruhigen keinen betroffenen Menschen. Die anderen verteidigen den Status Quo und verteidigen die Zweifaltigkeit von Firmeneignern und Belegschaften. Beide Standpunkte führen perspektivisch zur weiteren Verschärfung der Konfrontation von Arbeitnehmer*innen und umweltbewussten Menschen. Der Gegensatz von Arbeitsplatzerhalt und sinnvoller Gestaltung des Verkehrs bleibt erhalten.
Letztlich sind die abhängigen Beschäftigen in den Hintern gekniffen, weil ihre gruselige Perspektive Hartz 4, Demütigungen und Erniedrigungen lauten kann. Dementsprechend fest und notfalls aggressiv, halten sie an ihren Arbeitsverhältnissen fest.
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Die verschiedenen Umweltbewegungen müssen diese Folgen ernst nehmen. Es darf ihnen nicht gleichgültig sein, was mit den Menschen im Rahmen größerer Wandel passiert. Die Konfrontation von Umweltschützer*innen mit den Erwerbsabhängigen ist ein schädlicher und hemmender Zustand. Erfolg auf Kosten anderer darf nicht die Lösung sein. Ein ökologischer und sozial gestalteter Umbau der Gesellschaft ohne Verlierer, kann nur dann stattfinden, wenn individuelle und gemeinschaftliche Handlungsweisen und Interessen in einer gemeinsamen Strategie münden, die gegen die Gesetzmäßigkeiten des automatischen Prozesses angeht und ihn zum Stehen bringt.
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Geht das und was wäre die Alternative? Noch leben wir in einer Warengesellschaft, in der die ausschließende Tausch-, Eigentum- und Geldlogik unsere Lebensweisen bis in die intimsten Bereiche prägt. Frühere, auf Gemeineigentum, Nutzungsrechten, Gemeinschaftstätigkeit, direkter Absprache und Entscheidung basierende Lebensweisen wurden im Verlauf der letzten Jahrhunderte durch die Produktion für den Markt ausgelöscht und gute wie schlechte Traditionen über den Haufen geworfen. Alle menschlichen Tätigkeiten und alles Wissen, müssen wertförmig werden, um für den Tausch in Geld quantifizierbar sein. Nur dann werden sie vom Markt mit monetärem Einkommen belohnt. Alle Menschen planen mehr oder weniger Dinge ihres Lebens. Firmen nach innen ebenso. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders sieht es mit den gesellschaftlichen Bedingungen aus, die alle betreffen. Da ist Planung tabu! Das soll der Markt richten! Privat sind wir mündig, gesellschaftlich das Gegenteil davon.
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Die Alternative zum bisherigen System müsste durch gemeinschaftliches Planen, Entscheiden, Herstellen und miteinander Teilen geprägt sein. Nicht für einen anonymen, unberechenbaren Markt wären die Menschen tätig, sondern für die konkreten Bedarfe, auf die sie sich gemeinsam einigen. Dazu sind neue Formen der Entscheidungsfindung, Kommunikation und vor allem Verfügungsrechte, jenseits von Staats- und Privateigentum, unabdingbar. Wir müssen so weit kommen, dass wir in neuen Zusammenhängen gemeinschaftlich bestimmen, unter welche Bedingungen wir tätig sein möchten, was wir individuell und gemeinsam benötigen und wie wir dies gemeinsam herstellen.
Eine nachhaltige, menschliche und naturfreundliche Gesellschaft benötigt keinen Staat, keine Politik, kein Eigentumsrecht, kein Geld und keine Erwerbsarbeit. Die Menschen können sich in Commons organisieren, die für alle anstehenden Aufgaben der Gewährleistung eines individuellen und gesellschaftlichen guten Lebens gebildet werden. Ursprünglich stand der Begriff für Gemeingüter und Gemeindeland.
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Moderne Commons bestehen aus gemeinsam hergestellten, gepflegten und genutzten Produkten und Ressourcen unterschiedlicher Art, aus der Community oder Gemeinschaft der Menschen, die das Commons herstellen, erhalten und nutzen und aus den selbst bestimmten Regeln der Selbstorganisation. Commons lassen sich zeitlich begrenzt und unbegrenzt und je nach Zuständigkeit unterschiedlich gestalten. Es bleibt der über Commons vernetzten Gesellschaft überlassen, wie umfassend die Zuständigkeiten ausfallen und welche Methoden für Entscheidungsfindungen angewendet werden. In einer Commons-basierten Gesellschaft kann niemand anderen Menschen seine Interessen aufzwingen und gegen deren Willen und Bedürfnisse Vorhaben mit negativen Auswirkungen durchführen. Die Verfügung über alle geistigen und materiellen Ressourcen der Menschen und Natur ist eine zwingende Voraussetzung für eine Weltgesellschaft, die auf modernen Commons basiert. Nur so lassen sich alle Errungenschaften der Menschheit für alle nutzen und zum Wohl aller einsetzen. Es geht nicht darum, in alte Allmende-Zeiten mit ihren Produktionsmethoden zurückzukehren zu wollen, die von starken persönlichen und familiären Abhängigkeiten, Sitten, Bräuchen und harten Lebensbedingungen geprägt waren. Das würde uns zu geistiger und materieller Armut und ausgrenzenden Praktiken und Vorstellungen gegenüber anderen Gemeinschaften führen. Aber die Kooperation ohne Dazwischenfunken von Geld und Eigentum ist aktueller denn je. Das Ziel ist eine einschließende Weltgesellschaft, die alle ihre heutigen Möglichkeiten nach einschließenden, humanen und naturgerechten Kriterien ausschöpft. Commons würden dabei eine zentrale Rolle spielen.
Es gibt Commons, die einzelne Bereiche der Herstellung von Fahrrädern übernehmen; Commons, die die Koordinierung der verschiedenen Herstellungs-Commons übernehmen; Commons, die sich um den Transport zu den Empfängern kümmern; Commons für Straßenplanung, die auf die Informationen der Hersteller zugreifen, um einen Überblick über das künftige zwei- und dreirädrige Verkehrsaufkommen zu erhalten. Commons für den Straßenbau; Commons, die das Wissen über Verkehr, Produktion und Anwendung für alle zur Verfügung stellen. Commons, die z.B. dieses Verkehrswissen mit Schul-Commons zusammen kreativ vermittelbar machen und die Schüler*innen-Commons mit einbeziehen; Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Überall wo sich Schnittstellen ergeben, kommunizieren und kooperieren die Commons miteinander. Die Individuen organisieren sich in zahlreichen Commons, so dass ihr Leben nicht durch eine lebenslange, eintönige und stressende Lebensführung geprägt ist, die nur an den Arbeitsbedingungen ausgerichtet ist.
Der konkrete Ablauf wird folgendermaßen gestaltet: Ein Wohn-Commons ermittelt in seinem Bereich, wer welches Fahrrad individuell haben möchte und welche Fahrräder für die gemeinsame Nutzung gewünscht werden. Diese Information wird an die Fahrradproduktions-Commons weitergegeben. Diese ermitteln ob, zu wann und wie sie diesen Auftrag ausführen können. Dazu greifen sie auf die Informationen aller anderen vernetzten Commons zu, um sich mit diesen über Zulieferung, Zeiten, Bedingungen etc. auszutauschen. Kann der Auftrag nicht oder nur bedingt ausgeführt werden, verständigen sich die Commons über Alternativen und Innovationen für die Herstellung einschließlich aller Beteiligten bis hin zur Rohstoffgewinnung. Sind die Fahrräder hergestellt, werden sie zu den Empfängern transportiert oder sie holen diese ab, wenn der Produktionsort nicht zu weit entfernt ist. Mit öffentlichem Nahverkehr hinfahren und mit dem Bike zurückradeln.
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Ich schlage vor, eine Debatte über die Möglichkeiten gemeinsamen Handelns für den Zugriff auf alle menschlichen und natürlichen Ressourcen zu führen. Das schließt die Vernetzungen, Kooperationen und Handlungsweisen, die heute schon möglich sind und auf eine Commons-Zukunft verweisen mit ein. Innerhalb der heterogenen Open-Access-Szenen, den Commons-Szenen und einigen linken Szenen werden schon viele spannende Optionen und Alternativen debattiert. Wie wäre es mit einem Common, der alle diese Debatten zusammenführt? Ansätze gibt es dazu schon.
Bezogen auf das Verkehrswesen hieße dies, alle für den Verkehr relevanten privaten und staatlichen Bereiche (Luft, Wasser, Boden) aus der Marktlogik herauszunehmen. Alle Menschen sollen zu jeder Zeit kostenlos den öffentlichen Verkehr nutzen können. Die Bewohner*innen legen fest, wie viele und welche Fahrzeuge sie benötigen. Sie werden hergestellt und stehen ihnen dann zu Verfügung.
Zu guter Letzt: Stellen Sie sich einmal vor, welche Auswirkungen es auf den Verkehr hätte, wenn nicht mehr getauscht wird. Ein großer Teil des weltweiten Warentransports, der heute ausschließlich auf Grund von monetären Kriterien, den sogenannten „Kostenvorteilen“ stattfindet, wäre für immer vorbei und die Milliarden privater PKW-Fahrten zu nahen und fernen Arbeitsplätzen und Einkaufstempeln würden ebenfalls wegfallen. Allein schon der Verzicht auf die Geldform würde die Atmosphäre sofort um ein Vielfaches mehr entlasten als jegliche Art alternativer Antriebe für Fortbewegungsmittel auf dem Land, den Ozeanen und in der Luft.
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Gaston Valdivia, Hamburg
Links:
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Gaston Valdivia ist ein aktiver Gesellschaftskritiker in Theorie und Praxis. Meist hält er sich in Hamburg auf, zwischendurch in Südamerika. Er ist Angehöriger der Krisisgruppe und verschiedener internationaler Diskussionszusammenhänge und hat in Krisis, Karoshi, Jungle World, OjoZurdo u.a. publiziert. Im Mai ist er Opa geworden.
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